Arbeitslos, beziehungslos, nutzlos...

Essay von Hans E. Ulrich


Lebensdauer

Durch die Erfolge in der Medizin vom Röntgen über Antibiotika bis hin zur Herzverpflanzung hat sich die Lebensdauer des Menschen erheblich verlängert. Die Diagnose Krebs bedeutet heute nicht automatisch mehr ein Todesurteil.. Zwar wird die Zahl der Menschen, die an Tumoren leiden, in den nächsten Jahren steigen, weil die Bevölkerung altert. Doch die Prognosen stehen gut, dass Ärzte das grausame Leiden (2002 starben ca.25% an Krebs, BFS 2004) immer besser in den Griff bekommen.

Bereits heute kann die Medizin viele Tumorarten gut behandeln: Sie kann beispielsweise drei von vier Kindern mit Leukämie heilen. Von den Patienten mit Hoden- und Schilddrüsenkrebs leben 20 Jahre nach der Diagnose fast noch alle. Im Gegensatz beispielsweise zu den Siebziger Jahren, wo vor der Einführung von wirksamen Medikamenten fast alle Hodenkrebs-Patienten starben. Wesentlich bessere Behandlungsoptionen bestehen heute selbst für die häufigsten Tumorarten Brustkrebs, Prostatakarzinom und Darmkrebs. (Focus.de,13.9.2007)

Aber auch bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, an denen 2002 immerhin 46,8% der Menschen in Deutschland starben (BFS 2004) gibt es große Fortschritte. Ihnen ist es zu verdanken, dass u.a. im Jahr 2004 die Zahl der Todesfälle in Folge von Herz-Kreislauferkrankungen um 7,1 Prozent auf 368.472 Todesfälle gesunken ist. Erhebliche Erfolge konnten vor allem bei der Behandlung des akuten Koronarsyndroms erzielt werden, worunter die Experten den Herzinfarkt und die instabile Angina pectoris verstehen. Die Stammzellenforschung scheint bei der Rettung Totgeweihter sogar wahre Wunder zu bewirken, wie kürzlich in der Düsseldorfer Universitätsklinik geschehen (RP 14.9.07).

Im Jahre 2006 starben in Deutschland mit 821.000 Fällen so wenig Menschen wie noch nie. Eine Entwicklung, die seit den siebziger Jahren kontinuierlich anhält. Die Lebenserwartung Neugeborener stieg demzufolge weiter kräftig an. Sie stieg allein in den Jahren 2001 bis 2006 für Jungen von 75,1 auf 76,6 und für Mädchen von 81,1 auf 82,1. (BFS)

Vor 100 Jahren wurden die Menschen durchschnittlich 48 Jahre alt, heute Frauen ca. 83 Jahre, Männer 77 Jahre alt. Und wenn man sich einmal die Kurve der Entwicklung der Lebensdauer anschaut, dann sieht man, dass sie in den letzten Jahrhunderten immer steiler nach oben geht.


In einer asymptotischen Kurve, so nennt sich dieser Verlauf, erst langsamer Anstieg, dann immer schneller, explodiert geradezu die Entwicklung. D.h. wir müssen uns darauf einstellen, dass zum größten Teil wir und nicht nur unsere Nachfahren, an einen Zeitpunkt kommen, wo der natürliche Tod durch technischen Fortschritt so weit hinausgeschoben wird, bis er möglicherweise nur noch freiwillig oder durch Unfall geschieht.

Wie könnte so etwas möglich sein? Ist die Wechselwirkung zwischen Tod und Leben nicht geradezu notwendig, damit das Leben sich weiterentwickeln kann?


SF-Splitter

Das Flugzeug setzte sanft auf dem Rollfeld auf und über Lautsprecher gab der Robot-Steward die Landung bekannt. Ich atmete erleichtert auf. Ich war zum ersten Mal mit einer Maschine geflogen, die ohne Besatzung, quasi unbemannt, gesteuert wurde. Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor. Muss man erst einmal Vertrauen zu gewinnen.

Auf dem Weg durch den elektronischen Zoll nahm ich per Voicespeaker Kontakt zum MOSCI (Multi Organ Stem Cell Institute) auf. Den Instituts-Tipp hatte ich in einem Online-Portal über Zukunftsprodukte gefunden. Erneut breitete sich leichte Nervösität bei mir aus. Ich war gerade dabei, mein Leben zu riskieren. So kam es mir zumindest vor. Andererseits wollte ich einer der ersten sein, um die phantastischen Möglichkeiten der reprogrammierten Stammzellen am eigenen Leibe zu nutzen.

Erst knappe 10 Jahre war es her, als zwei Wissenschaftsteams aus den USA und Japan über einen sensationellen Durchbruch in der Stammzellforschung berichteten. Sie hatten pluripotente Stammzellen aus menschlichen Hautzellen gewonnen. Schon damals lief mir ein kleiner Schauer den Rücken hinunter, als ich diese Nachricht las. Jetzt war damit zu rechnen, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Organe auf Wunsch „angefertigt“ und „eingebaut“ werden könnten. Natürlich klang es damals, 2007, noch ziemlich fantastisch. Aber ich blieb am Ball. Die Wissenschaftler bekamen sogar schon vier Jahre nach ihrer Entdeckung den Nobelpreis, ein absolutes Novum, und bald danach, ich glaube es war 2014, kamen die ersten medizinisch nutzbaren Ergebnisse heraus. Menschliche Organe konnten von nun an im Reagenzglas erzeugt und als Ersatz des schwer erkrankten Gewebes eingesetzt werden. Ich weiß noch, wie die erste Herzverpflanzung mit einem eigenen, neuen Herzen gefeiert worden war.

Und jetzt stand ich vor dem MOSCI, einem weltbekannten Forschungsinstitut, um selbst einen Austausch meines etwas altersschwachen Herzens vornehmen zu lassen. Ich wollte eigentlich nur vorbeugen, größere medizinische Probleme hatte ich noch nicht. Natürlich hätte ich mich dafür nicht den Risiken einer Operation unterzogen. 

Nanobot in ArterieDie Forscher waren schon längst weiter vorangekommen. Seit einiger Zeit war es möglich geworden, auf Operationen zu verzichten und die Organe durch Austausch der Zellen im Körper quasi zu reparieren und zu verjüngen. Das war für mich das Zeichen, mich ernsthaft mit der Sache zu beschäftigen. Ich war nicht mehr ganz so jung, schließlich gerade 75 geworden, und hatte durchschnittlich nur noch ca. 20 Jahre zu leben. Aber mit diesem Schritt, das wußte ich, würde für mich das Leben neu beginnen.

Der Tod hatte ausgespielt.

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Über den Autor

Hans.E. UlrichDr. Hans E. Ulrich ist Sozialwissenschaftler sowie Gründer und Leiter eines international ausgerichteten Weiterbildungsinsituts.

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