Arbeitslos, beziehungslos, nutzlos...

Essay von Hans E. Ulrich


Epilog

Ein nicht sehr befriedigender möglicher Ausgang der Menschheitsgeschichte. Sicher, es wurde viel erreicht, aber sich einfach dem Schicksal zu ergeben, liegt doch eher schwer im Magen. Schauen wir uns mal an, was denn wirklich unabänderlich erscheint.

Zunächst einmal wird man nicht wegdiskutieren können, dass die technische Entwicklung weiter voranschreiten wird. Das hat sie schon früher getan, das tut sie heute und sie wird es zukünftig tun. Und, was auch nicht zu übersehen ist, die Entwicklung verläuft asymptotisch. D.h. die Zeit, in der neue Entwicklungen geschaffen werden, wird immer kürzer. Wie in einem Puzzle lassen sich die Teile am Ende in großer Geschwindigkeit zusammenfügen. Aber wozu?

Bisher diente die Technik dem Menschen. Vom Faustkeil bis zum Computer wurden viele nützliche Dinge erfunden. Andererseits hat sich auch der Mensch entwickelt. Er lernte den aufrechten Gang, bekam ein größeres Gehirn, sprechen, denken, trotzdem ist er mit dem Affen noch zu 99% genetisch verwandt. Sein biologisches Erbe beherrscht ihn nach wie vor: Überlebens-, Macht- und Fortpflanzungstrieb bestimmen sein Denken und Handeln. Kulturelle Überhöhungen haben sich noch nicht wirklich durchgesetzt, wenn auch das Leben insgesamt friedfertiger geworden ist. Und er ist technischen Systemen unterlegen. Er kann weder fliegen, noch tauchen, ist sehr verwundbar. Er denkt sehr langsam, braucht für neue Entwicklungen seiner Spezies Tausende von Jahren und nimmt seine Weisheit und Erfahrungen bislang mit ins Grab. Ganz anders die Technik. Mit ihr lässt sich sowohl die Welt der Atome wie auch die der Sterne erforschen, die verwendeten Materialien können extrem fest und beständig sein, aber auch sehr anpassungsfähig. Technische Systeme können ihre Leistungsfähigkeit durch Kopplung ihrer Gehirne quasi unendlich vervielfältigen. Sie sind hochkomplex und in ihrer Entwicklungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit ohne Grenzen.

Für viele Menschen ist die technische Entwicklung schon längst soweit vorangeschritten, dass sie sich ihrem Verständnis entzieht, nicht mehr kontrollierbar, nur noch nutzbar ist. Immer weniger Experten sind noch in der Lage, technische Geräte zu entwickeln und zu warten. Ein simples Beispiel liefert die Autoindustrie, wo immer mehr elektronische Systeme in die Fahrzeuge eingebaut werden, aber statt wie früher bei Defekten die Geräte nicht mehr repariert werden, sondern nur noch ausgetauscht.

Die Technik ist eine Blackbox geworden, die sich nur noch dem Kundigen erschließt. Wie lange wird es dauern, dass technische Systeme andere technische Systeme entwickeln und reparieren? Wann kommt der Zeitpunkt, wo der Mensch ausgeschlossen bleibt, wo die Maschinen sich nach eigenen Gesetzen entwickeln, Aufgaben stellen, Lösungen finden? Ist dies das Bild, das in dem Puzzle zusammengesetzt wird? Eine Welt, in der die Computer herrschen und der Mensch als geduldeter Privatier mit dem für ihn Wichtigsten, mit „Tittytainment“ versorgt wird? Ist es das, was wir wollen oder können wir es gar nicht mehr verhindern?

Ich bin davon überzeugt, dass wir diese Entwicklung nicht mehr verhindern können und auch nicht verhindern wollen. Zumindest sind sich die Wenigsten darüber im Klaren, dass sie bei jeder neuen technischen Innovation, die begeistert aufgenommen wird, eine weiteren Schritt in Richtung Unmündigkeit und Nutzlosigkeit unternehmen. Die Entwicklungsgesetze wie höher, weiter, schneller, komplexer, effektiver, zeit- und kostensparend, profitabel sind nicht von Menschen gemacht, sondern in weitesten Sinne Naturgesetze. Das Darwin’sche Survival of the fittest gehört genauso dazu, wie das Gesetz der Massenträgheit, das uns verleitet, möglichst den bequemeren Weg zu suchen und zu gehen. Wir haben prinzipiell nicht die Freiheit, die Entwicklung zu stoppen, sondern wir können sie allenfalls behindern. Wie oft haben gerade wir Deutschen unsere Vorbehalte bezüglich gefährlich erscheinender oder ethisch bedenklicher Entwicklungen in maßregelnde und bremsende Gesetze umgesetzt und dann doch am Ende, weil der globale Wettbewerb um Arbeitsplätze das verlangte, klein beigegeben. Biotechnologie steht hierfür als Beispiel. Atomstrom könnte es noch werden.

Also okay, wir werden diese Entwicklung nicht aufhalten können, was können wir dann tun, um uns das immer längere Leben so angenehm wie möglich zu gestalten?

In einer Gesellschaft von Rentnern und Pensionären werden wir das tun können, was Rentner und Pensionäre schon immer getan haben, nämlich nichts. Zumindest nichts Produktives, es sei denn, wir bemühen uns aktiv darum. Da aber der Mensch wie oben erwähnt dazu neigt, den bequemen Weg zu gehen, werden die meisten unserer zukünftigen Zeitgenossen in den Tag hinein leben und sich elektronischen Vergnügungen widmen. Sie werden nicht mehr aus dem Haus gehen, sondern nur noch per Chat kommunizieren, sich künstlich teleportieren, ein zweites Ich in einem zweiten oder später auch dritten oder vierten elektronischen Lebensraum managen, die kühnsten Abenteuer interaktiv mit gestalten, sich von den Fesseln ihrer körperlichen Behinderung befreien und die reale Welt einfach vergessen. Das hört sich pathetisch an, aber es wird so kommen. Massenhaft, genauso wie heute schon die Spiel- und Fernsehsucht Millionen oder Milliarden in den Bann zieht. Und wer kümmert sich um die dahin siechenden Körper? Natürlich Roboter und Computer. Die Medizintechnik wird mögliche auftauchende Krankheiten aufgrund mangelnder Bewegung und Fürsorge automatisch .verhindern. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass der Körper bald ausgedient hat und nur noch das Gehirn gebraucht wird.

Man muss sich dann allerdings fragen, wenn die meisten Menschen ihren Lebenssinn „Tittytainmentmäßig“ elektronisch verbringen, wer kauft noch die Produkte, die von der Wirtschaft hergestellt werden. Wird alles elektronisch konsumiert, weil nicht nur billig, sondern auch wesentlich interessanter, werden sich auch die Einnahmen für den Staat verringern. Sicher wird es Unternehmen geben, die wie heute schon die elektronischen Spielplätze a la „second life“ betreiben und daran gut verdienen werden, aber der Umsatz allgemein wird zurückgehen. Auf den Straßen werden die Autos verrotten und die Pflanzen aus dem Belag sprießen. Kaum eine Menschenseele wird zu sehen sein. Keiner geht oder fährt noch irgendwo hin, keiner trifft sich leibhaftig mit einem anderen; immer mehr leben im elektronischen Jenseits, aus dem es kein Zurück auf den biologischen Planeten geben wird. In 2006 wurde erstmals in Deutschland mehr Geld für Computerspiele als für das Kino ausgegeben. Wer setzt noch gegen meine Phantasien?

Aber, wir müssen auch nicht zu pessimistisch an die Zukunft herangehen. Die technische Entwicklung hat uns schon immer geholfen, die Probleme des täglichen Überlebens zu meistern, warum sollten wir nicht auch weiterhin davon profitieren, ohne in einen künstlichen Dauerschlaf, gleich elektronisches „Leben“ zu fallen?

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Über den Autor

Hans.E. UlrichDr. Hans E. Ulrich ist Sozialwissenschaftler sowie Gründer und Leiter eines international ausgerichteten Weiterbildungsinsituts.

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