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Arbeitslos, beziehungslos, nutzlos...

Essay von Hans E. Ulrich


Singularity is near

Basis aller Überlegungen, wie schnell sich derartige Entwicklungen zeigen werden, ist die Beobachtung, die sich schon vorhin bei der Betrachtung der Entwicklung der Lebensdauer gezeigt hatte. Der Fortschritt im Biologischen wie auch im Technischen beginnt zunächst ganz langsam. So hat die Entwicklung des Lebens von den ersten Einzellern bis hin zu den ersten Fischen ca. 3 Milliarden, danach bis zu entwickelten Säugetieren ca. 300 Millionen und bis zum ersten Hominiden ca. 50 Millionen Jahre. D. h. der Zeitraum, in der neue, bahnbrechende „Erfindungen“ geschehen, wurde immer kürzer.

Das gilt auch für die technische Entwicklung. Irgendetwas muss dem ersten Urmenschen vor 1-2 Millionen Jahre in den Fingern gejuckt haben, als er einen Stein aufnahm und damit ein anderes Tier oder gar seinen Kollegen erschlug. Dass man Steine bearbeiten kann, damit sie wirkungsvoller sind und für alle möglichen Zwecke nutzbar gemacht werden können, ergab sich dann anschließend vermutlich nach dem Darwin’schen Gesetz des „survival of the fittest“. Wer Steine anspitzte, durch Brechen zum Beispiel, oder sie zum Feuermachen benutzte, hatte einfach bessere Überlebenschancen. Und so nahm die Technikentwicklung ihren Lauf.

Neben Steinen war vor allem Holz zur Bearbeitung geeignet, später Ton, Bronze, Eisen, usw. Schon in der Steinzeit gab es Webmaschinen, Steinschleudern, Pfeil und Bogen natürlich und immer mehr nützliche Kombinationen von Elementen zu komplexeren technischen Geräten. Wissenschaft und systematische Forschung förderten die Entwicklung. Aber trotzdem dauerte es Jahrhunderttausende am Anfang, später Zehntausende und dann Tausende von Jahren bis sich eine Neuentwicklung sozusagen aus dem Ei gepellt und durchgesetzt hatte.

Diese Beschleunigung oder Akzeleration der Entwicklung wird besonders in der Neuzeit und erst recht in den letzten 100 Jahren deutlich. Buchdruck, Dampfmaschine, Auto, Flugzeug, Computer, Internet und Handy, um nur einige Erfindungen zu nennen, haben das Leben des Menschen in immer kürzeren Abständen grundlegend beeinflusst. Betrachtet man die Entwicklung von mechanischen Rechenmaschinen, über Röhren und Transistoren bis zum heutigen Mikroprozessor, so zeigt diese eine doppelt exponentielle Steigerung der Leistungsfähigkeit. Die Rechenleistung pro 1000 Dollar verdoppelte sich in den Jahren 1910 bis 1950 im Abstand von drei Jahren (mechanische Rechenmaschinen), von 1950 bis 1966 etwa alle zwei Jahre und jetzt etwa jährlich.

Ray Kurzweil glaubt, dass dieses exponentielle Wachstum sich auch in den Technologien fortsetzen wird, die die heutigen Mikroprozessoren ablösen werden, und letztendlich zu einer sogenannten Singularität (singularity) führen wird, die er als "technischen Wandel" definiert, der "so schnell und allumfassend ist, dass er einen Bruch in der Struktur der Geschichte der Menschheit darstellt."

Es erscheint sogar ein direkter Zusammenhang zwischen technischer Entwicklung und Lebensdauer zu bestehen. Je komplexer und leistungsfähiger die technischen Systeme werden, desto geringer die Sterblichkeit (wie erwähnt). Interessanterweise nimmt andererseits die Geburtenrate ab, je entwickelter eine Gesellschaft ist. Braucht eine technologische Gesellschaft keine Kinder mehr? Keine Familien, keine Ehen? Nur noch Singles, die sinnlos dem Konsum hinterher jagen, virtuelle Abenteurer, möglicherweise zur Unsterblichkeit verdammt. Braucht die Gesellschaft überhaupt noch Menschen?

Wofür auch, so könnte mancher Ketzer antworten, sie werden sowieso bald arbeitslos. Computer und Roboter werden ihren Job übernehmen und den Menschen ins Museum stellen. So wie wir heute noch Ausstellungen von Dinosauriern mit Interesse besuchen und bestaunen, werden wir bald selbst als Fossilien betrachtet, die zwar evolutionstechnisch gebraucht wurden, aber selbst auch nur eine Durchgangsstation des Lebens auf dem Weg, ja wohin denn, sind.

Aber vielleicht kommt es gar nicht so weit. Technischer Fortschritt hat dem Menschen zum Menschsein verholfen, warum sollte dies nicht weiterbestehen, nur, dass sich das Leben revolutionär verändern wird, aber grundsätzlich lebenswert bleibt oder sogar weiter verbessert. Wer möchte denn ernsthaft alt werden, gebrechlich, kränklich, blind, taub und am Ende qualvoll an Krebs oder anderen schrecklichen Krankheiten dahinsiechen und sterben?


SF-Spitter

Ich sagte „Licht“, aber es blieb dunkel. Hatte ich „Licht“ gesagt oder nur gedacht? Ich versuchte es noch einmal: „LICHT!!!“. Jetzt hörte ich meine Stimme, krächzend, irgendwie rostig, ungeübt. Erst als ich ein paar weitere Male mich wiederholt hatte, leuchtete ein trübes Notlicht auf und erhellte dürftig den kahlen Raum, in dem mein UHT (Ultrasensitiver Highspeed Transformator) stand, den ich mir vor ein paar Monaten oder waren es ein paar Jahre (?) angeschafft hatte. Meine Augen waren noch verschwommen, als ich die Schläuche und Schnüre, mit denen mein Körper mit dem UHT verbunden war, löste. Arme und Beine ließen sich ebenfalls kaum bewegen. Es war wirklich, als ob ich eine Ewigkeit unterwegs gewesen sei. Dabei zeigte mir der Daten Responder, dass ich kaum mehr als 15 Stunden in diesem Teil verbracht hatte.

Virtuelle WeltWieso war ich eigentlich zurückgekehrt? Ich war doch im Paradies. Dort wo sprichwörtlich alle Wünsche in Erfüllung gehen. Das Programm, dass vom Hersteller gleich mitgeliefert und ans Orbital Net angeschlossen wurde, ist so phantastisch, dass mich noch jetzt, ca. 1 Stunde nach meinem Aufenthalt im UHT die Erinnerung überwältigt. Abenteuer, Geschichte, Weltall, Harem und World Vision waren die Programmbereiche, die ich nacheinander ausprobiert hatte.

Im Abenteuerbereich hatte ich mir einen Kampf mit einem Drachen gewünscht, so wie weiland Siegfried. Aber als ich mit meiner kümmerlichen Axt vor dem Drachen stand, und ich den stinkenden, heißen Atem des Ungeheuers, das sich vor mir auftürmte, ertragen mußte, überlegte ich mir diesen Wunsch noch mal, aber es war zu spät. Die Bestie schlug ihre scharfkantigen Zähne in meinen Arm und ich konnte nur noch schmerzbetäubt mit letzter Kraft meine Axt in ihr häßlich aufglühendes Drachenauge schlagen. Das Tier stieß einen schrecklichen Schmerzensschrei aus und wandte sich glücklicherweise von mir ab. Mein Arm hing nur noch in Fetzen an meiner Schulter und ich begriff, dass ich wohl nicht im Drachenblut baden konnte, wie es weiland Sigfried mit Eichenblatt auf der Schulter vorgemacht haben soll. Schnell wünschte ich mir eine Auszeit auf einem ruhigen Planeten, von dem man das Universum beobachten konnte und sich dabei von netten Damen massieren ließ. Dort ließ ich mich eine ganze Weile verwöhnen, bevor mir der Gedanke kam, selbst eine Rakete zu besteigen und noch einmal die Mondlandung der sechziger Jahre mitzuerleben......

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Über den Autor

Hans.E. UlrichDr. Hans E. Ulrich ist Sozialwissenschaftler sowie Gründer und Leiter eines international ausgerichteten Weiterbildungsinsituts.

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